Stimmungsvoll beleuchtetes Rathaus, davor eine Bühne mit Musikern und Sängern Pfaffenhofen

Abschlusslesung des Lutz-Symposiums bei den Paradiesspielen

Es war eine sensationelle literarische Revue, die Einblick in die Arbeit der beteiligten Schriftsteller bot und unterschiedlichste literarische Stile auf die Bühne brachte. Die kurzen Lesungen der Lutz-Stipendiaten Marko Dinic, Johann Reißer, Marie Alice Schultz und Peter Zemla sowie der Schriftsteller Thomas von Steinaecker und Steffen Kopetzky entwickelten je eine ganz eigene Wirkung auf das Publikum. Der Literaturabend mit diesem vielfältigen literarischen Spektrum an der Kunsthalle ließ das erste Lutz-Symposium am 7. Juli 2018 ausklingen. Das Symposium fand im Rahmen der Paradiesspiele 2018 und anlässlich von fünf Jahren Lutz-Stipendium statt.

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Eine gemeinsame Textwerkstatt sollte es sein, was sich Nico Bleutge, Moderator und Leiter des Lutz-Symposiums, für das Programm überlegt hatte. Vier der fünf bisherigen Stipendiaten, ein dazu geladener Gast (Rabea Edel musste aus privaten Gründen kurzfristig absagen), der ehrenamtliche Kulturreferent und Schriftsteller Steffen Kopetzky und Nico Bleutge selbst trafen sich in Pfaffenhofen im kleinen Sitzungssaal des Rathauses, um zwei Tage lang nah am Text und in konstruktiver, kollegialer Atmosphäre über aktuelle, noch unveröffentlichte literarische Projekte zu sprechen.

Die abschließende Lesung bei schönster Open-Air-Atmosphäre bot als glanzvoller Schlusspunkt dann auch der Öffentlichkeit einen Einblick in die Arbeitsweise des Symposiums und der Schriftsteller. Moderator Nico Bleutge, selbst renommierter Lyriker, führte feinfühlig durch einen revueartigen Abend, bei dem alle Autoren ihre Texte und die damit verbundenen Konzepte vorstellten. Bleutges Fragen ließen dann so manchen Blick in die Textwerkstatt zu, indem er die Autoren immer persönlich zu ihren Konzepten und Ideen befragte.

Johann Reißer, der 2016 im Flaschlturm residiert hatte, stellte sein aktuelles Romanprojekt unter dem Titel „Pulver“ vor, das bei seinem Stadtschreiber-Aufenthalt in Rottweil seinen Anfang nahm. Der historische Roman zeigt an seiner Hauptfigur Max, die dem Unternehmer Max von Duttenhofer nachempfunden ist, Entwicklungslinien der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts, insbesondere der Rüstungsindustrie rund um Rottweil. Motivation sei die Darstellung der Gleichzeitigkeit von schöner historischer Atmosphäre und weltumfassendem Rüstungsbetrieb in Rottweil.

Auch Steffen Kopetzky stellte sein aktuelles Romanprojekt vor, nach dem erfolgreichen „Risiko“ ebenfalls wieder ein minutiös recherchierter und an einem markanten Punkt der Geschichte ansetzender Plot. Sein Protagonist John Glück, ein amerikanischer Soldat mit deutschen Wurzeln, nimmt an Kämpfen des Zweiten Weltkriegs teil. Die Lesung streifte die Schilderung der Schlacht am Hürtgenwald in der Nordeifel, für Kopetzky  „ein Wendepunkt im Selbstverständnis der amerikanischen Armee und der amerikanischen Gesellschaft“, nirgendwo sonst werde der unbedingte Wille, Hitler zu besiegen, deutlicher als hier. Selbst Hemingway sei an der Schilderung der Bedingungen der Schlacht aufgrund ihrer Härte gescheitert.

Der Roman der 2017er Stipendiatin Marie-Alice Schultz sucht dagegen ganz andere Schwerpunkte. In ihrem Roman „Mikadowälder“ wendet sie sich den Verwerfungen einer Familie zu. Im Zentrum steht der elfjährige Oskar. Den Roman tragen seine liebevoll geschilderten, skurrilen Figuren und seine klingende, lebendige und doch einfache Sprache. Von Bleutge auf ihren diesbezüglichen Schreibprozess angesprochen, antwortete Schultz: „Jeden Satz lese ich laut und ändere ihn, bis der Klang stimmt“.

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Auch bei Peter Zemla, dem Stipendiaten von 2018, spielt die sehr kunstvoll gebaute Sprache eine Hauptrolle. Hauptfigur in Peter Zemlas Roman ist Melchior Ferner, ein Schwimmmeister, dem von der Verwaltung seine bevorstehende Hinrichtung angekündigt wird – erzählt aus der Perspektive des Todes. Die Skurrilität des Plots findet ihren Widerklang in Zemlas kunstvoll schwierig gebauter Sprache, die von alten und fremd klingenden Begriffen und Wendungen lebt und damit eine charakteristische Atmosphäre schafft. Auf Bleutges Fragen nach seinem derzeitigen Aufenthalt im Flaschlturm angesprochen, schwärmte Zemla von einer „perfekten Schreibatmosphäre“ im Turm: Er habe in den bisherigen neun Wochen gut zehn Kapitel seines Romans schreiben können.

Der Lutz-Stipendiat von 2015 Marko Dinic stellte eine Erzählung vor, die e

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inen schreibenden Einzelgänger als Protagonisten einführte. Auf einer beschriebenen Reise durchs Land sind es seine Verlorenheit und sein Hass – auf sich und seine Umgebung –, die eine ganz eigene erzählerische  Perspektive auf fremde Gegenden und auf das Gefühl des Fremdseins erlauben. Ein Gefühl, das Dinic als Sohn eines serbischen Diplomaten und als „Ausländer“ mit einem je einjährigen Visum in Österreich persönlich sehr gut kennt. Dieses Thema ziehe sich auch durch den geplanten Erzählband, so Dinic, der den Protagonisten durch verschiedene Regionen führen soll – auch sein Pfaffenhofen-Text werde Teil dieses Bandes.

Den Abschluss des Abends machte Thomas von Steinaecker, in Augsburg lebender Schriftsteller und Journalist. Steinaecker stellte einen Text aus der Rahmenhandlung seines neuen Romans vor, einem Science-Fiction-Roman, dessen Handlungsort ein Deutschland in unbestimmter Zukunft ist, geprägt von „gated communities“ und unter einander abgeschotteten Einwohnern. Die Hauptfigur, die im vorgelesenen Prolog vorgestellt wird, blickt als Auswanderin und Pionierin auf einem anderen Planeten auf ihre persönlichen Erlebnisse zurück. Auf die Frage, warum es denn gerade ein Science-Fiction-Roman sein müsse, antwortete Steinaecker, dass es gerade in diesem Genre herausragend möglich sein, der aktuellen Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten.